04. 07. 2022
Verfasst von: Lin Xie
Mobile Lagersysteme – intelligent und lernfähig
In einem Warenlager ist die wichtigste und zugleich zeitaufwändigste Aufgabe die Entnahme von Artikeln aus ihren Lagerorten. Im wachsenden E-Commerce-Sektor werden zunehmend robotergestützte mobile Lagersysteme eingesetzt, die Zeit sparen und die Produktivität steigern. Eine Forschungsgruppe der Leuphana Universität Lüneburg arbeitet mithilfe von maschinellem Lernen und Simulationen an Optimierungsmodellen für diese neue Form der Lagerwirtschaft, um die Echtzeitsteuerung zu verbessern und die Effizienz weiter zu erhöhen.
Kombination aus Simulation und Machine Learning
Traditionell werden bei Eingang von Kundenbestellungen Mitarbeitende im Lager ausgesandt, um die Produkte für einen oder mehrere verschiedene Kunden einzusammeln. Diese Methode der Auftragszusammenstellung, das sogenannte Picker-to-Parts-System, ist immer noch weit verbreitet. Sobald alle Teile einer Bestellung vollständig sind, werden sie an die Verpackungsstationen weitergeleitet und in Paketen für den Versand vorbereitet. „In einem solchen manuellen System verbringen die Kommissionierer rund 50 bis 70 Prozent ihrer Arbeitszeit mit dem Zurücklegen von Wegen und Suchen von Waren“, bilanziert Prof. Dr. Lin Xie von der Leuphana Universität Lüneburg. „Der Vorgang der Auftragszusammenstellung macht so etwa 50 bis 65 Prozent der Betriebskosten aus.“ Diesem Bereich kommt daher die höchste Priorität für Produktivitätsverbesserungen zu.
Die Regale kommen zu den Mitarbeitenden
Um die unproduktive Arbeitszeit der Kommissionierer zu reduzieren und die Schwachstellen manueller Systeme auszugleichen, werden in der Praxis zunehmend automatisierte Systeme eingesetzt. In robotergestützten mobilen Fulfillment-Systemen (RMFS) transportieren Roboter bewegliche Regale, sogenannte Pods, aus dem Lagerbereich zu den Kommissionierern. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich nun nicht mehr selbst durch das Lager bewegen, sondern arbeiten fest an ihren Kommissionierstationen. Hier entnehmen sie die Artikel entsprechend den Bestellungen der Kunden aus den Pods und sortieren diese. Nach der Kommissionierung transportiert der Roboter das Regal zurück in den Lagerbereich. „Doch allein durch Automatisierung und Einsparung von Laufwegen ist das Potenzial zur Effizienzsteigerung noch nicht voll ausgeschöpft“, betont Lin Xie.
Hoher Durchsatz bei effizientem Robotereinsatz
Ihre Forschungsgruppe am Institut für Wirtschaftsinformatik arbeitet gemeinsam mit Praxispartnern an mathematischen Modellen zur Optimierung von Logistikprozessen. Dabei ist das Hauptziel dieses Projekts, so wenig Geräte wie möglich einzusetzen und trotzdem den Artikeldurchsatz zu bewältigen, ohne die Kommissionierer warten zu lassen. „In einer RMFS-Umgebung müssen verschiedene Optimierungs- und Zuordnungsprobleme durch die zentrale Steuerung in Echtzeit gelöst werden“, nennt Lin Xie die Herausforderung und führt weiter aus: Zunächst wird ein Auftrag einer Station zugewiesen, dann werden dieser Station ein oder mehrere Pods zugeteilt, um den Auftrag zu erfüllen. Den Pods werden Roboter zugewiesen, die die Regale an die Station liefern, während das System die Roboterpfade plant. Nachdem ein Pod an einer Kommissionierstation fertiggestellt wurde, gilt es, die Wiederauffüllung mit Nachschub zu organisieren und zu entscheiden, wo der Pod im Lagerbereich platziert werden soll.
Methoden optimieren, von Daten lernen
Zur Optimierung all dieser Entscheidungen (einzeln und integriert) entwickelt die Arbeitsgruppe neuartige Modelle und Methoden. Wegen der hohen Komplexität der zu lösenden Online-Probleme kombiniert das Team Optimierungsmethoden mit Machine Learning. So helfen zum Beispiel Machine-Learning-Methoden, ähnliche Bestellanforderungen im Kommissionierungsprozess zu erkennen und gemeinsam als Input für die Optimierungsmodelle zu nutzen. Durch eine solche Vorverarbeitung von Daten lässt sich die Größe des zu lösenden Modells verringern.
„Um die Strategien für die Entscheidungsprobleme und die Beziehungen zwischen ihnen zu analysieren, haben wir das Open-Source-Simulations-Framework RAWSim-O entwickelt", berichtet Lin Xie. Die Kernsoftware ist über Schnittstellen sowohl mit einem ERP-System (Enterprise Resource Planning) als auch mit realen Robotern und Stationen verbunden, was Experimente mit den Echtdaten der Praxispartner ermöglicht. So können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Algorithmen ihrer Methoden anwendungsnah auf ihr Optimierungspotenzial überprüfen.
Simulationen reduzieren Fahrstrecke von Robotern
In Simulationsstudien haben die Forschenden verschiedene, realitätsnahe Layouts mit einer unterschiedlichen Anzahl von Robotern, Etagen, Pods, Stationen und der Größe der Lagerbereiche berücksichtigt sowie die Leistungskennzahlen Durchsatz, Weglänge und Suchzeit überwacht. „Dabei zeigen Simulationsergebnisse für die erarbeiteten Algorithmen beachtliche Erfolge“, fasst Lin Xie zusammen. „Mit einem Algorithmus konnte zum Beispiel die Fahrstrecke von Robotern um 60 Prozent reduziert und der Durchsatz gleichzeitig um 50 Prozent erhöht werden.“ Die erzielten Forschungsergebnisse wendet die Arbeitsgruppe auch für weitere neuartige automatisierte Systeme an.
Hier finden Sie weitere Informationen:
Leuphana Universität Lüneburg
Leuphana Universität Lüneburg
21335 Lüneburg
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