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Kulturelles Erbe digital erforschen und präsentieren

04. 09. 2023
Verfasst von: Deike Stolz, Pressemitteilung der Universität Oldenburg

Kulturelles Erbe digital erforschen und präsentieren

In dem schlichten hölzernen und verdeckten Kajak sitzt eine Person mit spitzem Hut und Paddel. © Wolfgang Kehmeier / Landesmuseum Natur und Mensch
Der russische Kapitän Ivan Antonovich Kuprejanov erwarb das einsitzige Kajak-Modell zwischen 1835 und 1840, ehe es nach Oldenburg kam. Der hölzerne Rahmen des circa 76 Zentimeter langen Kajaks ist mit der Haut eines Meeressäugers bezogen. Stilistisch lässt sich das Artefakt den Alutiiq zuordnen, ansässig auf der Inselgruppe der Aleuten. Solche Bootsmodelle wurden im 19. Jahrhundert zu einem in Europa begehrten Sammelobjekt und daher auch gezielt für den Handel gefertigt – heute sind sie eine interessante Quelle für ethnologische Forschung.

Wie lässt sich das kulturelle Erbe der Menschheit mithilfe digitaler Technologien bewahren? Wie können Museen und Archive historische Objekte und Dokumente unvoreingenommen deuten und noch breiter zugänglich machen? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt eines neuen Forschungsverbunds der Universität Oldenburg, der Jade Hochschule und des Oldenburger Landesmuseums Natur und Mensch. Mit weiteren Partnern wollen die Forschenden neue digitale Verfahren zum Erfassen und Analysieren von Sammlungsgut entwickeln und als „Werkzeugkasten“ anderen kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen zur Verfügung stellen.

Methoden der Datenerfassung verfeinern und kombinieren

Im dreiköpfigen Leitungsteam des neuen Forschungsverbunds „Digitalisierung, Visualisierung und Analyse von Sammlungsgut“ (DiViAS) fungiert Prof. Dr. Dagmar Freist von der Universität Oldenburg als Sprecherin. „Wir betreten auch international Neuland“, betont die Historikerin, „indem wir bislang kaum verknüpfte wissenschaftliche Methoden und Praktiken beim Digitalisieren, Erforschen und Repräsentieren von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten zusammenbringen wollen.“ Das Projekt verbinde systematisch die Expertise aus Museums-, Geschichts- und Kulturwissenschaften mit derjenigen aus Technik und Informatik – etwa in puncto künstliche Intelligenz (KI), Datenanalyse, Geoinformatik und dreidimensionale Messtechnik. So wollen die Partner neue digital gestützte Verfahren zum Erfassen und Analysieren von Sammlungsgut entwickeln, innovativ miteinander verbinden und in Form eines digitalen „Werkzeugkastens“ künftig auch für andere kulturelle und wissenschaftliche Einrichtungen verfügbar machen.

Die Maske hat die Form eines Gesichts, zeigt große Augen, prägnante Ausgenbrauen und Lippen sowie eine dreifarbige Gesichtsbemalung mit Formen und Mustern. © Wolfgang Kehmeier / Landesmuseum Natur und Mensch
Die hölzerne Maske, vermutlich eine Anfertigung der indigenen Gemeinschaft der Tlingit im südlichen Alaska, gelangte 1844 mit der Sammlung des Kapitäns Ivan Antonovich Kuprejanov nach Oldenburg. Diese Sammlung war eine der frühesten aus der Circumpolarregion, die nach Europa kamen, und befindet sich heute im Landesmuseum Natur und Mensch. Das Projekt DiViAS soll sie der internationalen Forschungsgemeinschaft virtuell zugänglich machen.

Der Verbund DiViAS ist „ein Meilenstein für das digitalisierte Kulturerbe“, sagt der stellvertretende Sprecher Prof. Dr. Thomas Luhmann von der Jade Hochschule. „Das aufgebaute Know-how wird langfristig nutzbar sein und wirken – in Niedersachsen und darüber hinaus.“ Das Vorhaben wird im Programm „zukunft.niedersachsen“ von Land und VolkswagenStiftung in den kommenden drei Jahren mit zunächst 2,7 Millionen Euro gefördert. Es handelt sich um ein gemeinsames Projekt des Instituts für Geschichte der Universität Oldenburg mit dem Institut für Angewandte Photogrammetrie und Geoinformatik der Jade Hochschule Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth sowie dem Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg. Weitere Partner sind das Institut für Kartographie und Geoinformatik der Leibniz Universität Hannover, die Bibliotheksverbundzentrale VZG in Göttingen sowie assoziierte Forschende aus dem In- und Ausland.

Koloniale Herkunft von Sammlungen ergründen

Den Ausgangspunkt des Projekts bilden die großen Sammlungen und archivalischen Überlieferungen einerseits des Landesmuseums und andererseits der „Prize Papers“ im Londoner Nationalarchiv, die im Mittelpunkt des gleichnamigen Langzeitprojekts unter Freists Leitung stehen. Beide Bestände entstanden im Kontext von europäischer Expansion und Kolonialismus; hier soll der Verbund DiViAS einen Beitrag zur Provenienzforschung leisten, also der kolonialen Herkunft von Sammlungsgütern auf den Grund gehen. „Wegweisend ist nicht nur die fachübergreifende Kooperation, sondern auch die Zusammenarbeit mit Forschenden aus den Herkunftsgesellschaften“, erläutert Dagmar Freist. „So macht der Forschungsverbund die Digitalisierung mit ihren Strategien und Technologien im Sinne einer Critical Digital Heritage selbst zum Thema und begreift diese als Prozess einer digitalen Sammlungstransformation.“

Assoziierte Forschende sind tätig an der Nelson Mandela University in Gqeberha, Südafrika – langjährige Partneruniversität der Uni Oldenburg –, am Canadian Museum of History in Ottawa, Kanada, an der Université de Dschang, Kamerun, sowie an der Universität Lüneburg. Auch Medienwissenschaftler Prof. Dr. Sebastian Vehlken, der an der Universität Oldenburg und am Deutschen Schifffahrtsmuseum Bremerhaven forscht, ist beteiligt.

In dem aufgeschlagenen Buch stehen Spalten mit Zahlen und Einträgen in geschwungener Handschrift. © Prize Papers Project / The National Archives, ref. HCA 32/101/6. Image reproduced by permission of The National Archives, UK
"Kurs Nord-Nordost": Um die Routen historischer Schiffe nachzuvollziehen, sollen im DiViAS-Projekt Logbücher mithilfe digitaler Technologien automatisch ausgelesen und transkribiert werden – unabhängig etwa von Handschrift oder Sprache.

Bewegung und Materialität in Raum und Zeit

Den Kern des Projekts bilden zwei miteinander verschränkte Fallstudien. Eine davon soll die „Bewegung in Raum und Zeit“ von historischen Gegenständen nachvollziehen und digital abbilden, und zwar zunächst anhand von Schiffsrouten, die sich in London archivierten Logbüchern entnehmen lassen. Die andere Fallstudie befasst sich mit der „Materialität in Raum und Zeit“, also besonderen Eigenschaften, der Herkunft und Entwicklung des Zustands von historischen Objekten, etwa aus dem Landesmuseum Natur und Mensch. Direktorin Dr. Ursula Warnke, ebenfalls stellvertretende DiViAS-Sprecherin, wertet das Verbundprojekt als „die Gelegenheit“, die Sammlungen des Museums noch eingehender zu erforschen. „Die Studien sollen als Grundlage dienen, um das bisherige Wissen über und die bisherige Deutung von Sammlungsgütern zu analysieren und kritisch zu reflektieren“, sagt Ursula Warnke.

Zugleich zielen die Studien darauf ab, Methoden und Technologien der Datenerfassung zu verfeinern. Aus dem Forschungsverbund sollen – neben den Werkzeugen für eine zukunftsweisende Digitalisierung des kulturellen Erbes – unter anderem auch Konzepte für interaktive Ausstellungen sowie für Citizen Science Projekte hervorgehen, also Projekte, die Bürgerinnen und Bürger an der Forschung beteiligen.

Gruppenfoto © Matthias Knust, Universität Oldenburg
Das Leitungsteam des neuen Forschungsverbunds betritt Neuland: Dr. Ursula Warnke (von links), Prof. Dr. Thomas Luhmann und Prof. Dr. Dagmar Freist verbinden Expertise aus Museums-, Geschichts- und Kulturwissenschaften mit Technik und Informatik.
Redaktioneller Hinweis: Dieser Text steht unter der CC BY 3.0 DE-Lizenz
Prof. Dr. Dagmar Freist
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