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Digitaler Logistikzwilling – die Fabrik auf dem Schreibtisch

07. 07. 2022
Verfasst von: Alexander Herzog

Digitaler Logistikzwilling – die Fabrik auf dem Schreibtisch

Lager mit Gabelstapler, verschieden großen Stahl-Coils und Materialkisten © jotoler, Pixabay
Bei einer variantenreichen Werkstattfertigung sind Warte- und Durchlaufzeiten schwer prognostizierbar. Simulationsmodelle helfen Unternehmen dabei, die Ursachen für Flaschenhälse zu identifizieren sowie Logistik- und Fertigungsprozesse ganzheitlich zu optimieren.

Produktions- und Logistikprozesse werden stetig komplexer und weisen eine immer höhere Vernetzung auf. Kommt es hier zu unerwarteten Produktionsausfällen und globalen Lieferengpässen, beeinträchtigt das die gesamte Wirtschaft. Lokal führen Verzögerungen an einer Anlage zu hohen Beständen und damit zu Lieferverzögerungen. Um Flaschenhälse zu identifizieren und mögliche Lösungsstrategien zu bewerten, unterstützt das Simulationswissenschaftliche Zentrum Clausthal-Göttingen (SWZ) Unternehmen bei der Modellierung und Analyse ihrer Logistik- und Fertigungsprozesse.

Fertigung simulieren und Szenarien austesten

Gemäß seinem Leitspruch „Sie können jede Farbe haben, Hauptsache sie ist schwarz.“ gestaltete Henry Ford die Fließbandproduktion sehr preiswert, indem er die Vielfalt an Varianten radikal reduzierte. Dieses Prinzip funktionierte von 1913 bis 1927 sehr gut – bis es General Motors und Chrysler gelang, eine kostengünstige Fließbandfertigung mit einer variablen Produktpalette zu kombinieren. Dieser Trend zu einer variantenreicheren Fertigung hält bis jetzt ungebrochen an. Heute spricht man von „Losgröße 1“, wenn trotz einer komplexen Fertigung kein Produkt, welches die Fabrik verlässt, dem anderen gleicht.

Produktionsprozesse ganzheitlich abbilden

Henry Ford konnte seine Fabrik noch mit Stift und Papier planen und den Ressourcenbedarf per Dreisatz ausrechnen. Heute gehören CAD-Systeme für die Planung und Enterprise Resource Planning (ERP) Werkzeuge für den operativen Betrieb längst zum Standard. Diese digitalen Werkzeuge ermöglichen eine mikroskopische Sicht auf die Fertigung: Wann muss welche Lieferung eingetroffen sein, um anstehende Aufträge in der vorgegebenen Zeit exakt abarbeiten zu können? Wie lange fallen die Wartungsintervalle der Maschinen aus? „ERP-Systeme bilden die Prozesse im Idealfall ganzheitlich ab – vom Material-Lieferschein bis hin zur Rechnung an den Endkunden“, erläutert Dr. Alexander Herzog vom Simulationswissenschaftlichen Zentrum Clausthal-Göttingen.

Getaktete Produktion versus reale Welt

Allerdings verstellt diese Detailsicht vielfach den Blick auf die großen Zusammenhänge. „Eine exakt getaktete Produktion ohne Wartezeiten ist nur in der Großserienfertigung realisierbar“, schränkt Alexander Herzog ein. „Selbst in einer vollautomatisierten Produktion gibt es unvorhergesehene Störungen.“ Bei den allermeisten Unternehmen herrscht zudem eine Werkstattfertigung statt einer reinen Fließfertigung vor. Diese ist variantenreich und komplex, die Prozesszeiten schwanken, teure Maschinen sollen möglichst hoch ausgelastet sein, Warte- und Durchlaufzeiten sind schwer prognostizierbar. Laut aktuellen Studien macht die Wartezeit im Maschinenbau etwa 75 Prozent der gesamten Durchlaufzeit aus. Hier kann ein mikroskopischer ERP-Ansatz zwar Probleme nachstellen – Erkenntnisse über deren Ursachen, oder wie sie möglichst kostengünstig behoben werden können, liefert er jedoch nicht.

Drei Frauen setzen Bauteile manuell in Handys ein. © AdobeStock
Auch bei Hightech-Produkten ist nicht überall eine getaktete, vollautomatisierte Fließfertigung möglich. Smartphones werden teilmanuell gefertigt – mit stark schwankenden Bedienzeiten. Um derartige Prozesse zu analysieren, reicht es nicht aus, einzelne Prozessschritte isoliert zu betrachten. Erst Simulationsmodelle der Fertigung ermöglichen die Abbildung von Netzwerkeffekten.

Simulationswerkzeuge entwickeln, Anwender beraten

„Um die Ursachen für Verzögerungen, verspätete Lieferungen oder hohe Bestände aufzufinden, sind abstrahierte Modelle der Fertigung nötig – zum Beispiel ein digitaler Logistikzwilling“, führt der Mathematiker aus. „Hier wird nicht nur das nächste Bauteil betrachtet, sondern es wird die Verflechtung der Bedienstationen mit ihren jeweiligen Bedienzeiten und weiteren Eigenschaften abgebildet.“ Am Simulationswissenschaftlichen Zentrum, einer gemeinsamen interdisziplinären Forschungseinrichtung der Technischen Universität Clausthal und der Universität Göttingen, entwickelt Alexander Herzog maßgeschneiderte Werkzeuge zur Simulation von Produktions- und Logistikprozessen, zum Beispiel den Warteschlangensimulator. Der Wissenschaftler bietet zudem Unternehmen konkrete Beratung bei deren Anwendung beziehungsweise der Aufstellung und Interpretation der Modelle an.

Maßnahmen gefahrlos ausprobieren

„Der wichtigste Vorteil eines digitalen Logistikzwillings besteht darin, dass er nicht nur den aktuellen Produktionsplan nachbildet, sondern verschiedene Zukunftsszenarien durchspielen kann“, betont Alexander Herzog. In solch einem experimentierfähigen Simulationsmodell lassen sich verschiedene Maßnahmen, Strategien und Investitionen sowie ihre Auswirkungen auf die Produktion gefahrlos ausprobieren. Was passiert zum Beispiel, wenn an einer Station zusätzliches Personal eingesetzt wird? Wie wirkt sich eine neue Maschine oder eine veränderte Zuweisungsstrategie aus? Dabei weist er darauf hin, dass sich sinkende Wartezeiten und höhere Liefertreue nicht linear zu den Investitionskosten verhalten. „In vielen Fällen reicht es bereits aus, bestimmte Regeln und Strategien anzupassen.“ Damit eignen sich entsprechende Werkzeuge aufgrund von gesunkenen Kosten und einer einfacheren Modellierung mittlerweile auch verstärkt für kleinere Unternehmen.

Redaktioneller Hinweis: Dieser Text steht unter der CC BY 3.0 DE-Lizenz
Dr. Alexander Herzog
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Simulationswissenschaftliches Zentrum Clausthal-Göttingen
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Technische Universität Clausthal, Servicezentrum für Forschung und Transfer
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Adolph-Roemer-Straße 2a
38678 Clausthal-Zellerfeld
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