01. 10. 2020
Verfasst von: Mark Schweda
Technik und Ethik – intelligente Systeme in der Demenzpflege
In der Demenzpflege sollen Monitoring- und Assistenzsysteme ein eigenständiges Leben der Betroffenen zuhause fördern. Sensoren erkennen gesundheitliche Probleme frühzeitig, robotische Assistenten entlasten Pflegende und Angehörige. Doch wie sind diese co-intelligenten Systeme moralisch zu bewerten? Werden sie individuell und gesellschaftlich akzeptiert? Forschende aus Oldenburg, Göttingen und Rostock gehen diesen Fragen auf den Grund.
Assistenzsysteme in der Pflege
Science-Fiction-Filme werfen zuweilen ethische Fragen auf, die bereits jetzt hochaktuell sind. In der Tragikomödie „Robot and Frank“ (USA 2012) erhält ein an Demenz erkrankter, ehemaliger Juwelendieb einen Serviceroboter, der sich um ihn kümmern soll. Nach anfänglicher Ablehnung werden der alte Griesgram und der freundliche Roboter Freunde und sogar Komplizen bei Einbrüchen. Neue intelligente Technologien halten längst Einzug in die pflegerische Versorgung älterer Menschen mit Demenz und sollen ihnen ein selbstständiges Leben zuhause ermöglichen. Doch wie wirken sich intelligente Tracking-, Sensor- und Assistenzsysteme auf die Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte der Betroffenen aus? Beeinträchtigen sie die Beziehung zu Angehörigen und das berufliche Selbstverständnis von Pflegekräften?
Technik ethisch bewerten
Solche Fragen untersuchen Forschende aus Ethik, Psychiatrie, Informations- und Ingenieurswissenschaften an den Universitäten in Oldenburg, Göttingen und Rostock. Die Universitätsmedizin Göttingen koordiniert das interdisziplinäre Verbundprojekt EIDEC, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. „Die Ergebnisse sollen es Akteuren aus Forschung, Technik und Pflege ermöglichen, ethische und soziale Anliegen bei der Entwicklung und dem Einsatz technischer Assistenzsysteme in der Demenzversorgung angemessen zu berücksichtigen“, fasst Prof. Dr. Mark Schweda die Projektziele zusammen. Der Medizinethiker von der Universität Oldenburg erforscht die Akzeptanz der smarten Assistenzsysteme bei Betroffenen, Pflegenden und Angehörigen und vor allem den Wert der Privatheit.
Konflikte durch Überwachung
Die co-intelligenten technischen Systeme erlauben es, das Alltagsleben der Demenzerkrankten zu überwachen, zu analysieren und bei Bedarf zu unterstützen. Sensoren erkennen etwa Stürze oder gesundheitliche Probleme. Aus physiologischen Daten und Bewegungsmustern werden durch Algorithmen und künstliche Intelligenz Schlussfolgerungen über die Verfassung und Lage des Betroffenen gezogen, damit Betreuungspersonen situationsgerecht reagieren können. „Das mag einerseits meine Sicherheit erhöhen, doch andererseits wird mein Körper, mein Verhalten und Alltagsleben umfassend überwacht“, veranschaulicht Mark Schweda den Konflikt. „Dieser Eingriff in die Privatsphäre beschäftigt auch Pflegende und Angehörige.“
Emotionale und soziale Aspekte
Neben dem Monitoring gibt es robotische Assistenzsysteme, die Pflegende etwa beim körperlich belastenden Heben und Lagern von Patientinnen und Patienten unterstützen. Andere Systeme sollen demenzerkrankte Menschen bei täglichen Aktivitäten helfen, indem sie an Abläufe erinnern oder korrigierend eingreifen, zum Beispiel beim Händewaschen, Ankleiden oder Kochen. Es gibt sogar Systeme, die eher emotionale und soziale Funktionen bieten. Diese sprechen mit den Erkrankten, fördern und animieren sie zu Betätigungen. „Doch kann ein Roboter meine Bedürfnisse genauso sensibel erkennen wie ein Mensch?“, gibt Mark Schweda zu bedenken.
Zuwendung in der Pflege sichern
Der Wissenschaftler geht der Frage nach, welche Veränderungen sich durch den Einzug smarter Technologien in zwischenmenschlichen Beziehungen ergeben können. „Bewirkt die technische Assistenz eine Entfremdung von Gepflegten und Pflegenden oder Angehörigen? Wie wirkt sie sich auf das Vertrauen, die Zuwendung, Aufmerksamkeit und Verantwortung zwischen den Beteiligten aus?“ Die Forscherinnen und Forscher des Verbundprojektes arbeiten daran, dass Technik die emotional und sozial anspruchsvolle Sorge um Pflegebedürftige nicht gefährdet, sondern unterstützt und stärkt.
Abteilung Ethik in der Medizin
Universität Oldenburg
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26129 Oldenburg
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