Wissen hoch N Themen
Elektromobilität – was kann Ostfriesland, was Städte nicht können?

06. 08. 2024
Verfasst von: Flemming Stötzer

Elektromobilität – was kann Ostfriesland, was Städte nicht können?

Eine Straße wird von Feldern und Windrädern gesäumt. © roemi62, Pixabay
In ländlichen Regionen wie Ostfriesland bietet die Elektromobilität viel Potenzial. Hier ließen sich Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, Energieverbrauch und -speicherung gut miteinander koppeln.

Beim Thema E-Autos denken wenige an ländliche Regionen wie zum Beispiel Ostfriesland, mit ihrer dünnen Besiedelung, weiten Strecken und Arbeitswegen. Doch gerade hier bietet die Elektromobilität viel Potenzial und hat durchaus Vorteile gegenüber urbanen Räumen. Das Projekt „Elektromobilität im ländlichen Raum“ an der Hochschule Emden/Leer arbeitet hierfür an einem Modell, welches das Zusammenspiel zwischen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und Verbrauchern, Strommarkt, Netz und Elektromobilität in Hinblick auf CO2-Erzeugung und Kosten darstellt. Einige Potenziale werden hier vorgestellt.

Bedeutung des ländlichen Raums für die Stromnetzstabilität

Die Reichweiten der aktuell angebotenen Elektroautos liegen, je nach Modell, laut ev-database.org zwischen 135 bis 685 Kilometern (Stand 26.10.2023). Die durchschnittlich zurückgelegte Strecke liegt im ländlichen Raum dagegen bei nur 44 Kilometer pro Tag. Die Anzahl an Wohngebäuden, an denen Nutzer von Elektroautos private Ladepunkte installieren können und somit nicht auf öffentliche Ladeinfrastruktur angewiesen sind, ist hier deutlich höher. Zudem sind private PKW durchschnittlich 23 von 24 Stunden nicht in Nutzung. Hierdurch geben sich bei E-Autos in Zukunft Potenziale für neue Geschäftsfelder, Nutzungsformen und CO2-Einsparungen. Durch intelligentes und bidirektionales Laden, sei es nun V2G (Vehicle-to-Grid) oder V2H (Vehicle-to-Home), besteht die Möglichkeit, die Stromnetze prinzipiell immerhin etwas zu entlasten und gegebenenfalls den Umfang des Netzausbaus zumindest im nicht-industriellen Bereich zu beschränken.

Komplexes Modell zu Energie, Emissionen und Kosten

Wie und in welchem Umfang dies geschehen kann, gilt es möglichst schnell zu prognostizieren, um auf Basis der Ergebnisse eine Route für politische, energiewirtschaftliche und private Akteure zeichnen zu können. Eine allgemeine Voraussetzung ist allerdings, dass seitens des Gesetzgebers der Weg hierfür geebnet wird. Das Projekt Elektromobilität im ländlichen Raum an der Hochschule Emden/Leer arbeitet hierfür an einem Modell, welches mit Fokus auf Ostfriesland das Zusammenspiel zwischen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, Verbrauchern (besonders im privaten Bereich), dem Strommarkt, Netz und Elektromobilität in Hinblick auf CO2-Erzeugung und Kosten darstellt (siehe auch Nachhaltige Elektromobilität auf dem Land). Einige Potenziale der weitergehenden Nutzung von Elektroautos werden hier im Folgenden vorgestellt.

Säulendiagramme auf einer Landkarte mit den vier Regionen Emden, Aurich, Leer und Wittmund. © Wikipedia, Hochschule Emden/Leer
Die Übersicht zeigt die Energieleistungen von Photovoltaik (PV), Energiespeichern und Windkraft (WK) in Megawatt in Ostfries-land.

Die Region Ostfriesland beispielsweise verfügt über 1.840 Megawatt (MW) verbauter Windkraftleistung und 351 MW verbauter Photovoltaik(PV)-Leistung. Dringend benötigte Stromspeicher hingegen sind nur mit rund 37 MW Ein- und Ausspeicherleistung installiert (1,68 %). Zu der unzureichenden Speicherleistung kommt noch der Ausbau der erneuerbaren Energien, der Ausgleich von Schwankungen im Stromnetz sowie die zunehmende Wärmeversorgung mittels Wärmepumpen, was einen überregionalen kostspieligen Netzausbau unumgänglich macht. Steigen zusätzlich noch die Zulassungszahlen von Elektroautos, müssen diese nicht zwingend das Netz belasten, sondern könnten in der Theorie sogar zu einer Entlastung des Netzes betragen.

Großes Potenzial bei Netzeinspeisung

Allein das netzdienliche Laden ist von seinem Potenzial nicht zu unterschätzen. So beträgt die in Deutschland gleichzeitig zur Verfügung stehende Ladeleistung aktuell 3,37 Gigawatt. Bei einer Belegung von 15 bis 20 Prozent bedeutet dies eine abgerufene Leistung von 505 MW bis 674 MW. Auf Ostfriesland übertragen, entspricht dies einer durchgehend bezogene Leistung von 2,14 MW bis 2,85 MW. Gibt es die Möglichkeit, die Leistungsabgabe um bis zu 50 Prozent zu drosseln, ergibt sich hier Regelenergie in Höhe von 1,07 MW bis 1,43 MW. Wenn bis zum Jahr 2030 tatsächlich die 12,75-fache Anzahl an Ladepunkten mit proportional wachsender Ladeleistung installiert wird, wie von der Bundesregierung geplant, bedeutet das 12,64 MW bis 18,23 MW Regelenergie. Dies entspricht ca. 30 bis 50 Prozent der in Ostfriesland verfügbaren Speicherleistung von 37 MW.

Tabellarische Darstellung für Ostfriesland mit seinen drei Land-kreise, seiner kreisfreien Stadt und Deutschland. © Hochschule Emden/Leer
Die Tabelle zeigt den Anteil von Elektrofahrzeugen an den PKW-Zulassungen und Ladepunkten.

Hinzu kommt das enorme Potenzial privater Wallboxen und Ladepunkte. Die sind zwar nicht öffentlich erfasst, allerdings weisen Fahrzeuge am Wohnort Standzeiten von zirka 13,5 Stunden an Werktagen und rund 20 Stunden an Wochenenden auf. Es wäre so also durchaus denkbar, dass die zur Verfügung stehende Leistung und Kapazität nicht nur aufgrund ihrer schnellen Bereitschaft als Primärregelung oder Sekundärreserve zum Einsatz kommen kann, sondern dass die sich aus der Gesamtheit ergebende virtuelle Speicherkapazität auch in der Minutenreserve einen Beitrag zur Stabilisierung des Stromnetzes leisten kann. Fraglich ist jedoch, ob bedingt durch die unsichere Prognostizierbarkeit der Verfügbarkeit ein Einsatz besonders in der Primärregelung regulatorisch möglich ist.

Fahrzeugbatterie als Speicher aktiv einbinden

Geht man einen Schritt weiter, wird die Akkukapazität der Fahrzeugbatterien aktiv eingebunden. Basierend auf den aktuellen Zulassungszahlen, verfügen E-Autos im Schnitt über eine Batteriekapazität von etwas mehr als 51,7 kWh. Dies bedeutet, dass alle Elektroautos in Deutschland zusammen über eine Akkukapazität von 52.337,89 MWh verfügen. Würden hiervon nur 10 bis 25 Prozent der Kapazität zur Verfügung stehen, entspräche das einer Speicherkapazitäten von 5.234 MWh bis 13.084 MWh zur Flexibilitätsbereitstellung. In Ostfriesland könnten so aktuell die Lastspitzen aus erneuerbarer Energie mit einer Speicherkapazität von 27,71 MWh bis 69,28 MWh geglättet werden. Dies führt bis zu einer Verdoppelung der derzeitigen Speicherkapazitäten.

Tabellarische Darstellung von 10 oder 25 Prozent Kapazitätsnut-zung bis 2023 oder bis 2030 für Deutschland und Ostfriesland. © Hochschule Emden/Leer
Das sind mögliche Speicherkapazitäten bei unterschiedlicher pro-zentualer Batterienutzung.

Grundsätzlich lässt sich also festhalten, dass das Potenzial in Bezug auf Speicher und Flexibilität, das sich durch Elektroautos ergibt, prinzipiell zu einem Faktor mit erheblichem Einfluss werden kann. Nun gilt es zu benennen, wie die Potenziale ausgeschöpft werden können, so dass E-Autos einen echten Mehrwert für das Energiesystem darstellen – sei es in Form von Flexibilität im Stromnetz durch die Bereitstellung der Fahrzeugbatterie als Speicher als auch für die Besitzer in Form eines monetären Mehrwerts durch die Vermarktung des eigenen Fahrzeugs als Stromspeicher.

Redaktioneller Hinweis: Dieser Text steht unter der CC BY 3.0 DE-Lizenz
Zitation: Stötzer, F. (2024). Elektromobilität – was kann Ostfriesland, was Städte nicht können? Wissen Hoch N. https://doi.org/10.60479/XEHM-ZJ03
Portraitfoto
Flemming Stötzer, B. A.
Adresse
Hochschule Emden/Leer
Fachbereich Wirtschaft
Portraitfoto
Flemming Stötzer, B. A.
Adresse
Hochschule Emden/Leer
Fachbereich Wirtschaft
Hochschule Emden/Leer, Wissenstransfer
Hochschule Emden/Leer, Wissenstransfer

Bestellen Sie unseren Newsletter.
Folgen Sie uns auf LinkedIn.
Abbonieren Sie unseren RSS-Feed.